Gabriela Herold beschäftigt das Innere Kind in „The Witcher“. Hier gibt es mal eine psychologische Betrachtungsweise des Hexers.
Gaunter o’Dimm
Geralts Hauptquest im The Witcher 3 DLC Hearts of Stone ist es, für Gaunter o’Dimm eine Schuld einzutreiben.
Doch wer ist eigentlich dieser Gaunter o’Dimm? Von den Initialen her könnte man „God“ vermuten – die Geschichte des DLCs enthüllt Gaunter aber viel eher als den Teufel, oder als einen grausamen Dämon. Gaunter scheint Gott zu verhöhnen, indem er sich seines Namens bedient.
„Alle Menschen haben mich, unmöglich der Verzicht.
Doch mancher Mensch verachtet mich und wünscht, es gäb mich nicht.
Beachte mich, betrachte mich, bis dein Verstand erweicht.
Dabei kannst du mir doch nichts tun, weil mich kein Schlag erreicht.
Kinder lachen über mich, und Alte müssen weinen.
Hübschen Mädchen muss ich wohl ganz allerliebst erscheinen.
Wenn du schluchzt, so weine ich – gähnst du, will ich schlafen.
Lächle, und ich strahle, als erklängen tausend Harfen.“
So lautet Gaunters Rätsel.
Gaunter ist der Spiegelmeister, das reine Böse, er ist die dunkle Seite, die in einem jeden Individuum steckt, die im Spiegel zurückblicken kann.
O’Dimm ist das, was die Psychologie den „Schatten“ nennt.
Die Macht des O’Dimm
Gaunter spielt gerne mit der Macht, indem er andere Menschen hinters Licht führt und manipuliert. Im Zusammenhang mit den Schlagworten „Manipulation“, „Macht“ und „Spiegel“ fällt einem auch direkt der Begriff „Narzissmus“ ein. Narzisstisches Verhalten ist in uns allen angelegt.
Der DLC Hearts of Stone dreht sich um einen Pakt Olgierd von Everecs mit o’Dimm. Olgierd, der arme Narr, hat schriftlich eingewilligt, dass Gaunter seine Seele erhält, sollte es jemals dazu kommen, dass der Spiegelmeister ihm drei aussichtslos erscheinende Wünsche erfüllt, und sie zudem noch gemeinsam auf dem Mond stehen.
Gaunter erschleicht sich die Hilfe von Geralt, dem Witcher. Geralt ist gezwungen, für die Erledigung der Wünsche Olgierds zu sorgen.
Am Ende des DLCs kann Geralt als Gaunters Handlanger alle abstrusen Wünsche Olgierds erfüllen. Die drei Männer treffen sich im Mondlicht in einem Tempel der Elfen, auf dessen Boden eine Mondsichel abgebildet ist. Gaunter fordert also, wie vertraglich vereinbart, Olgierds Seele ein. Geht Geralt nicht dazwischen, stirbt Olgierd. O’Dimm pfeift dann fröhlich und spielt mit dem Schädelknochen herum. Geralt darf sich bei dem Dämon eine Belohnung aussuchen.
Hier gibt es einen versteckten Preis zu ergattern
… und zwar, wenn der DLC beendet wird, bevor die Suche nach Ciri im Hauptspiel erfolgreich ist. Dann nämlich kann Geralt von Gaunter Auskunft verlangen über Cirillas Aufenthaltsort.
Selbst „G.o.D.“ kann dieses Versteck nicht verraten – er kann Geralt allerdings Hinweise geben, wie Ciri einer großen Gefahr entgehen kann. „Falls du nicht lieber etwas anderes möchtest?“ Gaunter würde es bevorzugen, Geralt eine Schnapsflasche ohne Boden, ein Füllhorn, das schnellste Pferd der Welt, oder ein kleines Vermögen zu überlassen. Diese Informationen um Cirilla sind wertvoll, das ist ihm sehr bewusst.
Was Geralt erfährt
Für Geralt gibt es natürlich nichts Wichtigeres als seine Adoptivtochter, und so erfährt er:
- er muss sie aufheitern, wenn sie resigniert
- er muss ihr ermöglichen, ihren Zorn auszuleben, wenn sie betrogen wird
- er muss ihr erlauben, um einen Freund zu trauern, und ihr dabei beistehen
- er muss ihr Mut machen, wenn sie Angst hat, und ihre Selbstständigkeit fördern
- er darf ihr niemals das Gefühl geben, dass er sie hintergeht
Werden diese Ratschläge befolgt, dann überlebt Cirilla den Kampf mit der Weißen Kälte am Ende des Hauptspiels.
Cirilla symbolisiert das innere Kind
Cirilla als das Innere Kind
Cirilla sieht genauso aus wie Geralt, und dies ist kein Zufall. Wenn man die Geschichte „Der Hexer“ psychologisch betrachtet, dann kann man den rationalen Geralt als das Bewusstsein, die „männliche“, weil analytische Gehirnhälfte eines Menschen interpretieren – und Cirilla als das innere Kind, die „weibliche“, weil emotional-kreative, zum Bereisen fremder Welten fähige Hemisphäre.
Jede Geschichte eines Autors verrät „versehentlich“ etwas über dessen Psyche. Der Autor weiß meist nicht einmal selbst, wo seine Ideen genau herkommen. In der Kunst heißt dieses Phänomen „Automimesis“.
Nun ist jedermanns Psyche so aufgebaut, dass es ein Bewusstsein gibt und ein inneres Kind. Deshalb tauchen emotionale Waisenkinder und kalt wirkende Helden in unzähligen Geschichten auf: Cirilla – Geralt, Harry Potter – Severus Snape, Son Gohan – Piccolo. Ich führe diese Beispiele im ersten Kapitel meines Buches „Die Prophezeiung“ genauer aus (http://dieprophezeiung.de).
Fällt dir noch ein anderes Beispiel ein? Schreib es in die Kommentare!
Die Rettung von Cirilla
Um Cirilla vor dem Tod zu retten, muss Geralt ihr erlauben, ihre Wut und ihre Trauer auszuleben. Kaum ein Mensch lebt diese Gefühle aus. Wir drücken sie weg, lenken uns ab.
Geralt muss loyal hinter Ciri stehen, und „sinnlos“ mit ihr spielen – in The Witcher 3 in Form einer Schneeballschlacht.
Als Erwachsene verurteilen wir uns häufig dafür, wenn wir unsere Zeit „verplempern“ mit Dingen, die keinen Zweck erfüllen, lediglich Spaß machen.
Das innere Kind versinnbildlicht vor allem unsere Gefühle – die wir allzu oft verleugnen. Wir „verkaufen“ unsere Seele und nehmen Geld für etwas, das wir nicht gerne tun. Wie Geralt, wenn er den Sack Münzen von Emhyr nimmt, für die Auslieferung Cirillas an den kaiserlichen Hof.
Auch dass Herausforderungen selber mutig angegangen werden, ist eine wichtige Voraussetzung für Erfolg. Doch häufig rennen wir zu einem Retter, um uns nicht selbst retten zu müssen. Wir kaufen zum Beispiel ein Statussymbol nach dem anderen, anstatt grundlegend an unserem Selbstbewusstsein zu arbeiten.
Gaunter, der Schatten, und Ciri, das innere Kind, haben beide sehr starke Zauberkräfte.
Die Persönlichkeit und das Innere Kind
Sie sind mächtiger als Geralt, das Bewusstsein.
Der „Schatten“ und „das innere Kind“, das sind Persönlichkeitsanteile, die wir an uns nicht wahrhaben wollen.
„Ich bin doch kein Kind mehr, pff, inneres Kind, das hat vielleicht jemand, der ’ne Therapie machen muss, aber ich doch nicht.“
„Schatten – ich hab doch keinen Schatten. Du hast doch nen Schatten, sowas zu behaupten. Ich bin ein guter Mensch, ich stehle doch nicht, ich verprügele niemanden, und Töten liegt mir fern.“
Das Problem ist, wenn wir diese Anteile in uns nicht akzeptieren und nicht genauer ansehen, dann agieren sie aus dem Dunkeln heraus. Wir können nicht steuern, worauf wir uns den Zugriff verwehren.
Wie sieht der Gaunter o’Dimm in dir aus? Er drängt sich an die Oberfläche, wenn wir mit dem Rücken an der Wand oder unter großem Stress stehen, wenn wir die Kontrolle verlieren. Er hat Lust auf gewalttätige Lösungen, er könnte morden – sieht man sich die Geschichte der Menschheit an, ist klar, dass wir alle das Potenzial zu Brutalität und Grausamkeit in uns tragen. Unser Schatten ist das, wofür wir uns schämen, und wofür wir uns schämen würden, würde es jemand wissen. Er besteht aus negativen selbsterfüllenden Prophezeiungen wie „Was ich nicht habe, darf auch niemand anderes haben.“ Solche Denkautomatismen machen niemanden glücklich.
Der Einfluss vom Schatten auf das Innere Kind
Der Schatten „zaubert“, indem er unsere Wahrnehmung und unser Verhalten beeinflusst – häufig völlig unerkannt. Er erschafft Leid, das eigentlich Wunscherfüllung ist, z.B. wenn wir anderen wegen oben genannter selbsterfüllender Prophezeiung nichts gönnen können, und ankämpfen müssen gegen den Drang, das Glück anderer zu sabotieren.
Wie sieht die Cirilla in dir aus? Unser inneres Kind hat starke, seit langem unterdrückte Gefühle. Und es wird, um diese abzubauen, immer wieder unangebracht heftig auf Situationen von Außen reagieren. Es erschafft wie von Zauberhand Probleme – allein zu diesem Zweck. Wir haben aus unserer Kindheit immer noch tiefsitzende selbsterfüllende Prophezeiungen wie „Ich bin unterlegen“ oder „Das traue ich mir nicht zu“. Wir bekommen nicht mit, wie sie unser Leben negativ beeinflussen, weil wir unserem inneren Kind keine Beachtung schenken, oder gar seine gesamte Existenz abstreiten.
Sei ein Held wie Geralt.
Adoptiere Cirilla und tritt Gaunter o’Dimm in seiner eigenen Welt entgegen.
Mein Buch „Die Prophezeiung“ zeigt dir, wie. Es erscheint am 22.02.22. Hier kannst du es jetzt kostenlos probelesen: http://dieprophezeiung.de
Gastartikel von Gabriela Herold
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