In Beholder lebst du mit deiner Familie in einem totalitären Staat. Der Staat verpflichtet dich als Hausmeister in einem Mehrfamilienhaus. Deine Aufgabe? Nicht Reparaturen. Du sollst die Mieter überwachen, ausspionieren, denunzieren.
Dein Leben im Dienst des Staates
Du installierst Kameras, durchsuchst Wohnungen und beobachtest durch Schlüssellöcher. Jeder Bewohner kann ein Feind des Staates sein. Findest du Hinweise auf illegale Aktivitäten, meldest du sie. Für jede erfolgreiche Denunziation gibt es Geld. Schweigst du oder schützt einen Bewohner, riskierst du dein eigenes Leben.

Einige Bewohner wachsen dir ans Herz. Doch dein Sohn braucht Studiengebühren, deine Tochter medizinische Hilfe. Geld ist knapp. Moral zweitrangig. Du balancierst auf einem schmalen Grat zwischen Überleben, Pflicht und Mitgefühl.
Mechanik und Atmosphäre
Die Spielwelt zeigt sich in einer seitlichen 2,5D-Perspektive, ähnlich wie bei This War of Mine. Der Druck steigt: Finanzen, neue Gesetze, Aufgaben vom Ministerium. Jeder Fehler kostet – im schlimmsten Fall dein Leben.
Behalte alles im Blick. Neue Verbote wie Äpfel oder Musikinstrumente? Wer sie besitzt, verstößt gegen das Gesetz. Ignorierst du einen Anruf vom Amt oder verpasst eine Frist, hagelt es Strafen.
Gameplay – Überwachung, Entscheidungen und Wiederholung
Das Gameplay von Beholder dreht sich um systematische Überwachung und moralisch aufgeladene Entscheidungen. Du installierst Kameras, durchsuchst Wohnungen und meldest verdächtige Aktivitäten. Jeder Auftrag des Staates bringt Belohnungen oder Strafen – je nachdem, wie effizient und loyal du handelst. Was anfangs fesselnd wirkt, nutzt sich jedoch mit der Zeit ab: Die Aufgaben wiederholen sich, der Ablauf wird vorhersehbar. Trotz wechselnder Bewohner fehlt es dem Spiel an Dynamik und Abwechslung, was den Wiederspielwert stark einschränkt. Auch das Skript bleibt stellenweise blass, wodurch viele Charaktere austauschbar wirken. Trotzdem bleibt die Spannung bestehen, wenn sich familiäre Verpflichtungen mit staatlicher Kontrolle überschneiden.
Missionen – Überwachen, Entscheiden, Abwägen
Die Missionen in Beholder folgen einem festen Muster: Du erhältst Anweisungen vom Ministerium, beobachtest Mieter, sammelst Beweise und entscheidest über ihr Schicksal. Oft geht es darum, herauszufinden, wer ein verbotenes Objekt besitzt oder staatsfeindliche Aktivitäten betreibt. Neben den Hauptaufträgen warten Nebenmissionen, die persönliche Geschichten einzelner Bewohner aufgreifen – etwa Hilferufe, Bitten um Hilfe oder Erpressungen. Diese Aufgaben stellen dich vor moralische Dilemmata, verlieren aber an Wirkung, da sich die Abläufe oft ähneln. Entscheidungen wirken zunächst gravierend, doch langfristig bleibt ihr Einfluss begrenzt. Wer auf große Vielfalt oder überraschende Wendungen hofft, wird hier nur selten fündig.

Grafik – Stilvoll, aber schlicht
Die Grafik von Beholder setzt auf einen düsteren, minimalistischen Stil in Schwarz-Grau-Tönen mit vereinzelten Farbakzenten. Dieser Look unterstreicht die trostlose Atmosphäre des totalitären Staates und trägt stark zur bedrückenden Stimmung bei. Charaktere wirken stilisiert und gesichtslos, was den Eindruck von Überwachung und Entmenschlichung verstärkt. Animationen sind funktional, aber nicht besonders flüssig oder detailreich. Technisch reißt die Grafik keine Bäume aus, überzeugt aber durch ihren konsequenten Stil und ihre Symbolkraft. Wer auf High-End-Optik hofft, wird enttäuscht – wer Atmosphäre sucht, wird belohnt.
Sound und Musik – Unauffällig, aber wirkungsvoll
Der Soundtrack von Beholder hält sich dezent im Hintergrund, trägt aber effektiv zur beklemmenden Stimmung bei. Sanfte, düstere Klavierklänge und leise Ambient-Geräusche untermalen das Geschehen und verstärken das Gefühl von Isolation und Überwachung. Die Musik drängt sich nie auf, sondern begleitet deine Entscheidungen mit einem unterschwelligen Druck. Soundeffekte – wie das Öffnen von Türen, Telefonklingeln oder das Klicken von Überwachungskameras – sind schlicht, aber passend. Sprachausgabe gibt es nicht, was zur distanzierten und anonymen Atmosphäre beiträgt. Insgesamt bleibt der Sound unauffällig, erfüllt aber seinen Zweck: Er macht die Welt von Beholder noch kälter.

Charaktere – Zwischen Klischee und Gewissensbiss
Die Bewohner deines Hauses bilden das Herz von Beholder – zumindest auf den ersten Blick. Jeder hat eine eigene Hintergrundgeschichte, doch viele Charaktere bleiben klischeehaft oder eindimensional. Es fehlt an Tiefe, um echte Bindungen aufzubauen. Nur vereinzelt gelingt es dem Spiel, Figuren glaubhaft zu zeichnen und echte moralische Dilemmata zu erzeugen. Wenn sich Zuneigung zu einem Mieter mit der Pflicht zur Überwachung beißt, entsteht kurzzeitig emotionale Spannung. Doch oft verpufft diese Wirkung, weil das Spiel zu wenig Zeit lässt, um Beziehungen zu vertiefen. Was bleibt, ist ein Gefühl der Distanz – passend zur kalten Welt des Spiels, aber auch ein verpasstes Potenzial für mehr Empathie.
Wiederspielwert – Begrenzte Motivation für neue Durchgänge
Trotz der vielen Entscheidungen, die du in Beholder triffst, bleibt der Wiederspielwert überschaubar. Zwar bietet das Spiel mehrere Enden und unterschiedliche Wege, wie du mit Bewohnern und dem Staat umgehst, doch der Ablauf verändert sich nur geringfügig. Die Aufgaben ähneln sich stark, neue Durchgänge fühlen sich schnell wie ein Déjà-vu an. Auch die Dialoge und Ereignisse variieren nur in Nuancen, was die Motivation senkt, alternative Entscheidungen auszuprobieren. Wer Beholder einmal durchgespielt hat, kennt den Großteil des Spiels – beim zweiten Mal fehlt die Spannung, die das erste Mal noch getragen hat.
Anspruch und Wirkung
Beholder fordert dich heraus – nicht nur spielerisch, sondern moralisch. Das Tutorial ist spärlich, das Spiel gnadenlos. Entscheidungen wiegen schwer. Deine Handlungen beeinflussen Schicksale.
Complete Edition – Mehr Inhalt, mehr Ambivalenz
Die Beholder: Complete Edition enthält das Hauptspiel sowie den DLC Blissful Sleep. Damit erhältst du ein erweitertes Gesamtpaket mit zusätzlicher Spielzeit und mehr Entscheidungsmöglichkeiten. Der DLC bringt einen neuen Protagonisten, eine neue Ausgangssituation und einen deutlich kompakteren Rahmen. Während das Hauptspiel unter seiner repetitiven Struktur leidet, punktet der DLC mit klar umrissenen Figuren, emotionaleren Dilemmata – und einem Hauch von Menschlichkeit, etwa durch eine streunende Katze. Wer Beholder noch nicht kennt, bekommt hier die vollständigste Version – allerdings auch mit den bekannten Schwächen.
Unerwartete Game-Over-Ereignisse
Ein einzelner Fehler kann in Beholder drastische Folgen haben. Verpasst du einen wichtigen Anruf, endet das Spiel unter Umständen sofort – etwa mit der Explosion des gesamten Hauses. Diese plötzlichen Wendungen sorgen zwar für Nervenkitzel, wirken aber häufig willkürlich und frustrierend. Es fehlt an Vorwarnungen oder nachvollziehbarer Logik, was den Spielverlauf sprunghaft erscheinen lässt und die Motivation mindert, Risiken einzugehen.
Geringes Risiko bei Entdeckung
Wer beim Schnüffeln in fremden Wohnungen erwischt wird, muss selten ernsthafte Konsequenzen fürchten. Statt drastischer Strafen folgt oft nur ein Rüffel oder der Verweis aus der Wohnung. Diese lasche Reaktion untergräbt die Spannung des Überwachungsspielprinzips. Was bedrohlich wirken sollte, verliert an Gewicht und sorgt dafür, dass du dich bald sicher fühlst – in einem Spiel, das eigentlich Unsicherheit erzeugen will.
Schwache Benutzerführung
Gerade auf der Nintendo Switch fällt die Bedienung fummelig und träge aus. Menüs sind verschachtelt, das Wechseln zwischen Aufgaben, Informationen und Kameraansicht fühlt sich hakelig an. Dadurch verliert das Spiel an Tempo – besonders in stressigen Situationen, in denen schnelle Entscheidungen nötig wären. Eine präzisere Steuerung hätte das Spielgefühl deutlich verbessert.
Blissful Sleep – Der bessere Fokus
Der DLC Blissful Sleep erzählt die Geschichte eines pensionierten Hausmeisters, der sich mit seinem drohenden Ablaufdatum auseinandersetzen muss. Die kleinere, überschaubare Gruppe von Mietern erlaubt tiefere Beziehungen, emotionalere Entscheidungen und einen fokussierteren Erzählfluss. Anders als das Hauptspiel gelingt hier mehr Nähe zu den Charakteren. Die Entscheidung, ob du egoistisch überleben oder dich opfern willst, trifft härter – und sorgt für stärkere narrative Wirkung. Bonus: Die Katze im DLC bringt überraschend viel Seele ins Spiel.
Tonale Brüche
Beholder schwankt gelegentlich zwischen düsterer Dystopie und unpassendem Humor. Manche Szenen, etwa ein sexistischer Monolog, wirken fehl am Platz und reißen dich aus der ansonsten bedrückenden Atmosphäre. Diese tonalen Ausrutscher wirken inkonsequent und schwächen die Glaubwürdigkeit der Spielwelt. Gerade bei einem ernsten Thema wie staatlicher Repression ist ein konsistenter Ton entscheidend – hier gelingt das nicht immer.
Vergleich mit Papers, Please
Beholder strebt nach einer ähnlichen Tiefe wie Papers, Please, erreicht diese aber nur selten. Die politischen Themen bleiben an der Oberfläche, moralische Fragen werden oft auf plakative Weise präsentiert. Während Papers, Please subtil Druck aufbaut und mit kleinen Gesten große Wirkung erzielt, verlässt sich Beholder zu oft auf drastische Ereignisse und Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Das Ergebnis: ein gutes Spiel mit interessanter Idee – aber ohne die feine Klinge des Vorbilds.
Vergleich mit der Stasi – Parallelen im Schattenstaat
Die Aufgaben in Beholder erinnern stark an die Methoden der Stasi, der DDR-Geheimpolizei. Wie ein inoffizieller Mitarbeiter (IM) durchsuchst du Wohnungen, spähst Menschen aus und dokumentierst ihre Privatleben – ohne ihr Wissen und ohne rechtlichen Schutz. Du installierst Überwachungskameras, sammelst Beweismaterial und meldest Abweichungen vom staatlich verordneten Verhalten. Alles, was nicht zur Ideologie passt – ein Buch, ein Apfel, ein stiller Protest – wird zur potenziellen Bedrohung.
Wie bei der Stasi steht auch in Beholder die totale Kontrolle im Vordergrund. Du wirst Teil eines Systems, das seine Bürger nicht schützt, sondern manipuliert, bewertet und aussortiert. Der Staat gibt dir Macht, aber auch Angst: ein falscher Schritt, eine verpasste Meldung – und du bist selbst der Nächste, der verschwindet.
Doch Beholder geht einen Schritt weiter: Es zwingt dich zur Entscheidung. Verrätst du einen Nachbarn, um deine Familie zu retten? Oder schützt du ihn – mit dem Wissen, dass du dafür alles verlieren könntest? Diese Zwickmühlen spiegeln reale moralische Konflikte wider, mit denen Stasi-Informanten konfrontiert waren. Das Spiel überspitzt diese Realität, doch die Mechanik basiert auf echtem, historischem Grauen.
Fazit
Beholder überzeugt mit seinem düsteren Setting, der bedrückenden Atmosphäre und dem spannenden moralischen Druck, unter dem du Entscheidungen treffen musst. Die Idee, als Hausmeister zum Spitzel des Staates zu werden, sorgt anfangs für fesselnde Momente. Doch das Spiel verschenkt Potenzial: Viele Charaktere bleiben oberflächlich, das Gameplay wird schnell repetitiv, und technische Schwächen trüben den Eindruck. Auch der Wiederspielwert leidet unter der geringen Variation bei neuen Durchläufen. Wer sich auf das Konzept einlässt, bekommt ein intensives Erlebnis – allerdings nur einmal. Für Freunde von dystopischen Spielen mit moralischem Anspruch ist Beholder dennoch einen Blick wert.
Zur offiziellen Website von Beholder
Weitere Artikel auf Games und Lyrik: Die Pendulo Studios
Originally posted 2019-10-01 08:16:00.